Vor einem Jahr wurde Barbara Thaler mit 38.000 Vorzugsstimmen direkt in das EU-Parlament gewählt. Jetzt wird die stellvertretende Verkehrssprecherin der Europäischen Volkspartei Verhandlungsführerin für die Wegekosten-Richtlinie. Wir haben mit unserer Tirolerin in Brüssel über ihr erstes Jahr, die Coronakrise und die europäische Verkehrspolitik gesprochen. (c) Angerer/ Tiroler VP
Wir wurden 2019 für unser Ziel, wieder eine Tirolerin im Europaparlament zu haben, belächelt. Wie war Ihr erstes Jahr in Brüssel und Straßburg?
In Wien, aber auch in Tirol, haben uns das viele nicht zugetraut. Aber die Wahlkampflokomotive der Tiroler Volkspartei hat gezeigt, was sie kann. Ein Jahr nach meiner Angelobung bin ich immer noch dankbar für dieses großartige Ergebnis. Ich habe Europa im Kopf, aber Tirol im Herzen. Die Aufgabe als Europaabgeordnete ist eine wunderschöne, es ist eine Freude unser Land Tirol in Brüssel und Straßburg zu vertreten und die Politik für 450 Millionen Europäerinnen und Europäer mitzugestalten.
Für die Tiroler Europaabgeordnete Barbara Thaler muss die EU in den nächsten Monaten Vertrauen zurückgewinnen und den Fokus auf Wirtschaft und Arbeitsplätze legen. (c) Angerer/ Tiroler VP
Durch Corona wurde auch Ihre Arbeit abrupt unterbrochen. Wie haben Sie die Gesundheitskrise erlebt?
Ich bin seit Anfang März nicht mehr in Brüssel gewesen, stattdessen bin ich meiner parlamentarischen Pflicht von zu Hause aus mit Videokonferenzen und Telefonaten nachgekommen. Das EU-Parlament hat zum ersten Mal in seiner Geschichte und als eines der wenigen Parlamente digital abstimmen lassen. So haben wir bewiesen, dass die europäische Demokratie auch in Krisenzeiten funktioniert.
Die Europäische Union wird aber vielfach für den Umgang mit Corona kritisiert. Wie sehen Sie das?
Am Beginn der Krise hat die Stunde der Nationalstaaten geschlagen. Hier wird die EU kritisiert, obwohl sie gar nicht zuständig ist. Denn in der Gesundheitspolitik hat sie nur „unterstützende Zuständigkeiten“. Für mich müssen die Probleme dort gelöst werden, wo sie am besten gelöst werden können. Das beweist das insgesamt erfolgreiche Tiroler und österreichische Krisenmanagement. Oder was hätten wir gesagt, wenn die Ausgangsbeschränkungen in Brüssel beschlossen worden wären? Umgekehrt kann Tirol allein kein Hilfsprogramm für die gesamte Europäische Wirtschaft schnüren. Deshalb diskutieren wir aktuell intensiv über den EU-Wiederaufbaufonds. In Brüssel spürt man, dass Österreich eine klare und starke Position vertritt. Bundeskanzler Sebastian Kurz wird in einem Atemzug mit den Regierungschefs von Deutschland, Frankreich oder Großbritannien genannt. Wir spielen über unserer Gewichtsklasse, darauf kann man stolz sein.
Wie geht es in der Transitproblematik weiter?
Ich lass beim internationalen Transit nicht locker, denn die Belastungen werden schneller zunehmen, als uns lieb ist. Die langfristige Lösung kennen wir alle: den Brenner Basistunnel. Der Bericht des Europäischen Rechnungshofes zu den transnationalen europäischen Verkehrsnetzen war einmal mehr verheerend und bestätigt, dass an eine Fertigstellung der Zulaufinfrastruktur auf deutscher Seite vor 2040 bis 2050 nicht zu denken ist. Auch auf italienischer Seite ist eine Fertigstellung bis 2030 unwahrscheinlich. Wir laufen somit Gefahr, dass trotz der massiven Anstrengungen Tirols weitere 20 Jahre vergehen, bis der BBT sein volles Potential ausnützen kann. Die Europäische Kommission muss als Hüterin der Verträge die Mitgliedsstaaten an ihre Vereinbarungen erinnern. Ich nütze seit meiner Angelobung jede Gelegenheit, um die Verkehrskommissarin Valean zu fragen, ob sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen der Missachtung völkerrechtlicher Verträge zum Bau der Zulaufstrecken anstrebt. Ich werde immer und immer wieder dieselbe Frage stellen, bis die EU endlich handelt. Denn davon hängt die Zukunft unseres Landes ab.
Sie verhandeln für die größte Fraktion im EU-Parlament, der EVP, die Wegekosten-Richtlinie und nehmen gemeinsam mit dem deutschen Verkehrsminister und der Kommissarin am Verhandlungstisch Platz. Was bedeutet die sogenannte Eurovignette für Tirol?
Die Überarbeitung dieser Richtlinie kann für Tirol ein echter Gewinn sein. Sie regelt nämlich, wie hoch die Straßennutzungsgebühren und Mauten in ganz Europa sein dürfen. Ich will, dass ein Teil der Einnahmen zweckgebunden wird und direkt den Regionen und Gemeinden für Lärmschutzwände, Tunnel und Umfahrungen zur Verfügung gestellt wird. So können auch kostenintensivere Trassenführungen für die Eisenbahn, die weniger Widerstand in der Bevölkerung auslösen, umgesetzt werden – Stichwort BBT-Zulaufstrecken. Wir sind nämlich nicht gewählt worden, um aus Mobilität ein Problem zu machen, sondern um die Probleme der Mobilität zu lösen. Mit der Zweckwidmung der Mauteinnahmen können wir den Verkehr in die richtigen Bahnen – oder die richtigen Schienen – lenken.
Welche drei Themen stehen bei Ihnen in den nächsten Monaten auf dem Programm?
Zu tun gibt es genug. An oberster Stelle steht die Bewältigung der Coronakrise, die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Ankurbelung der europäischen Wirtschaft. Deshalb müssen wir in europäische Infrastruktur investieren, denn so schaffen wir kurzfristig Jobs und langfristig Perspektiven für unseren Kontinent. Hier setze ich mich für ein echtes europäisches Eisenbahnsystem ein und bin auch Chefverhandlerin des EU-Parlaments für das Europäische Jahr der Schiene 2021. Ich stehe auch auf der Seite der Tiroler Bauern und setzte mich für eine Lockerung des Wolf-Schutzstatus auf europäischer Ebene ein. Wieder einmal ein Beweis, dass kein anderes Bundesland so von europäischen Themen betroffen ist wie Tirol.