Langversion zu meinem Gastkommentar im Kurier vom 26.07.2023

What could possibly go wrong?

Die Umsetzung der EU-Klimaschutzgesetzgebung schafft Wohlstand. Die Frage ist nur wo.

In letzter Zeit tauchen immer mehr Artikel und Beiträge auf, die davon sprechen, wie alternativlos und richtig die Maßnahmen sind, die wir Europäer zum Klimaschutz leisten. Die Generaldirektion Klima arbeitet bereits an neuen Zielen für die 2040 Klimagesetzgebung.

Ich bin leider mittlerweile überzeugt, dass ein bedingungsloses „Nur weiter so“ wesentlich mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Und, um es gleich am Anfang ganz klar auszusprechen, ich stelle den Weg Zielerreichung in Frage, und nicht die Klimaschutzziele. Aber der Reihe nach.

Als ich 2019 Abgeordnete zum Europäischen Parlament wurde, hatte die EU ein BIP von 14 Billionen Euro. China hatte ein BIP von 12 Billionen und Amerika lag bei 19 Billionen. 2022 hatte die EU ein BIP von 15, China erhöhte auf 17 und Amerika lag jenseits der 24 Billionen Euro Grenze.

In nur 4 Jahren haben wir nicht nur den Anschluss an Amerika verloren, sondern wurden auch von China überholt.

In nur 4 Jahren haben wir nicht nur den Anschluss an Amerika verloren, sondern wurden auch von China überholt. Jetzt kann es durchaus sein, dass Amerikaner und Chinesen schlauer und fleißiger sind als wir Europäer. Es kann natürlich auch sein, dass die komplett verschiedenen politischen Systeme in Washington und Peking einfach nur wesentlich effizienter sind als die EU. Es könnte unter Umständen aber auch sein, dass wir uns überschätzt haben. Vielleicht auch alles zusammen. Mir scheint es jedenfalls an der Zeit zu sein, einmal weniger über die hehren Ziele, sondern über die Konsequenzen zu reden. Speziell über den Weg zur Zielerreichung, weniger über die Ziele selbst.

Der Europäische Rechnungshof hilft dabei und war durch seinen Bericht über die „EU-Industriepolitik im Bereich Batterien“ auch ausschlaggebend für diesen Beitrag. Ich zitiere aus den Ergebnissen: „die Kommission analysierte nicht, in welchem Umfang eine EU-Batterieherstellung erforderlich ist, um das doppelte Ziel der Klimaneutralität und der Erhaltung einer wettbewerbsfähigen Automobilindustrie in der EU zu erreichen. Dies erhöht das Risiko, dass das Nullemissionsziel der Kommission für 2035 aufgrund einer unzureichenden Batterieherstellung nicht oder nur auf der Grundlage von importierten Batterien oder Elektrofahrzeugen erreicht wird, was zulasten der EU-Batteriewertschöpfungskette und der damit verbundenen Arbeitsplätze geht. Auch besteht dadurch eine größere Unsicherheit in Bezug auf die Versorgung mit Rohstoffen, die zur Aufrechterhaltung der Produktion in der EU benötigt werden.“

Das heißt übersetzt, es wurden gesetzliche Grundlagen geschaffen, die China und Amerika nun ausnützen können und ausnutzen werden. Wir verbieten mit dem Verbrenner die einzige Technologie, wo Europa weltweit führend ist und erlauben genau jene Technologie, wo China und Amerika die Rohstoffketten kontrollieren. What could possibly go wrong?

Denn während in Amerika nur E-Autos in den Genuss von Subventionen kommen, die auch in Amerika produziert werden, fördern wir in Europa TESLA und Co genauso wie unsere eigenen Hersteller, die in Europa produzieren. Der CEO von Stellantis spricht von 40% standortbedingten Mehrkosten für europäisch produzierte Elektroautos.

Lieferkettengesetze für die Fertigung gelten halt nur für europäische Fertigung.

Hier reden wir noch gar nicht davon, dass chinesische Konzerne erheblich von der eigenen Regierung quersubventioniert werden und Rohstoffe wesentlich günstiger (und sicherer) bekommen als ihre europäischen Konkurrenten. Lieferkettengesetze für die Fertigung gelten halt nur für europäische Fertigung.

Die Umweltorganisation Transport & Environment geht inzwischen davon aus, dass chinesische Produzenten bis 2025 einen Marktanteil bei E-Autos in Europa zwischen 9-18% haben werden. Das ist in 2 Jahren und bei 18% Marktanteil sind europäische Hersteller bereits massiv unter Druck.

Einige europäische Länder, angeführt von Frankreich drängen nun darauf Zölle auf chinesische E-Autos einzuheben, um halbwegs faire Bedingungen zu haben. Dagegen stemmt sich aber Deutschland, da unter anderem VW, BMW und Daimler auf den chinesischen Markt angewiesen sind und Gegenmaßnahmen (wohl zu Recht) befürchten.

Was mich zu Amerika bringt. Hier sorgt der Inflation Reduction Act dafür, dass Investitionen amerikanischer Konzerne im Land bleiben und europäische Konzerne den Sprung über den Atlantik machen. Der Absatz in Europa ist dank unserer Gesetzgebung ja gesichert. Europäische Hersteller schaffen in Amerika Arbeitsplätze und Wohlstand und importieren dann zurück in die EU.

Neben den Steuererleichterungen haben die Amerikaner nämlich auch noch gesicherte eigene Rohstoffketten. Nachdem der „Heimatmarkt“ trotzdem offenbleibt, kann man das sogar nachvollziehen. Es sind ja nicht die Unternehmen, die die Gesetze so gemacht haben, das sind wir schon selbst. In Summe verlieren wir Wertschöpfung und Know-how. Die Produktion wandert ab, unser Wohlstand reduziert sich, unsere Abhängigkeit von Drittstaaten steigt.

Das alles ist der Besonderheit geschuldet, dass nur (!) in Europa Biokraftstoffe und synthetische Kraftstoffe so behandelt werden wie fossile Kraftstoffe. Nur in Europa haben Biokraftstoffe so viel CO2 wie fossile Kraftstoffe während gesetzlich festlegt wurde, dass egal ob Kohlestrom oder Strom aus Wasserkraft in einer Autobatterie steckt, magisch das Zertifikat „0g CO2“ erscheint.

Es ginge auch anders. Wir könnten die CO2 Ziele auch mit dem Verbrenner, mit Biokraftstoffen und synthetischen Kraftstoffen schaffen. Wir wären unabhängiger von China und Amerika. Wir bräuchten nicht Unmengen an seltenen Erden und Metallen. Wir würden Wohlstand in Europa halten. Die Rohstoffe dazu haben wir entweder selbst, oder können mit einer großen Anzahl an Ländern handeln. Aber selbst hier steht uns die eigene Gesetzgebung im Weg. Die Kommission bemüht sich nach Kräften grünen Wasserstoff so teuer wie möglich zu machen und Biokraftstoffe werden gesetzgeberisch an die Wand gedrängt.

Das ist meiner Meinung nach der falsche Weg und wenn jetzt einige Kollegen behaupten, dass alles gut wird, wenn wir nur so weitermachen wie bisher, dann liegen sie falsch. Bestes Beispiel ist die Photovoltaikindustrie. Bei uns groß geworden und entwickelt, per Gesetz und mittels Steuergeld enorm gefördert und trotzdem sind alle europäischen Produzenten verschwunden. Bis auf einen Schweizer und der geht jetzt nach Amerika. Wir schaffen viele Arbeitsplätze und Wohlstand, nur halt nicht bei uns.

Ich glaube nicht, dass Klimaschutz zwangsweise in Deindustrialisierung enden muss. Ganz im Gegenteil. Aber der eingeschlagene Weg zum Ziel ist zu einseitig. Es fehlt der „Deal“ im Green Deal.

Es mag sein, dass ich als Konservative von Haus aus vorsichtig bin, wenn jemand verkündet er wisse den Weg. Ich möchte dann gern entgegnen: Sei vorsichtig, setz nicht alles auf eine Karte. Aber diese vorsichtige Herangehensweise ist eben nicht so „sexy“ wie eine schöne grüne Überschrift, übersetzt in 24 EU-Amtssprachen.

Ich glaube nicht, dass Klimaschutz zwangsweise in Deindustrialisierung enden muss. Ganz im Gegenteil. Aber der eingeschlagene Weg zum Ziel ist zu einseitig. Es fehlt der „Deal“ im Green Deal.

Die nächste Wahl zum europäischen Parlament wird daher eine der wichtigsten Wahlen für unsere Zukunft werden. Es steht eine Richtungsentscheidung an. Geben wir die Gesetze auf den Prüfstand? Hinterfragen wir, ob wir die Ziele nicht auch anders, oder diverser erreichen können? Oder gehen wir den Weg „Nur weiter so“?

Wie denkt ihr darüber? Schreibt mir gerne auf barbara.thaler@europarl.europa.eu