Gemeinsame Regeln für Straßenmaut in Europa unausgegoren – Kein Vorrang der Schiene vor der Straße in Sicht – Absurdes Vetorecht von Nachbarstaaten bei Mautfestlegung

In der Nacht auf heute, Mittwoch, haben die Verhandler des Europaparlaments und der Mitgliedstaaten ein Verhandlungsergebnis zur Reform der gemeinsamen Regeln für die Straßenmaut in Europa (Eurovignette/Wegekostenrichtlinie) erzielt. Klare Worte findet dazu Barbara Thaler, Verkehrssprecherin der ÖVP im Europaparlament und Chefverhandlerin der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP): “Ich sehe die Einigung verfrüht. Es gab gute Fortschritte in den Verhandlungen, aber in wesentlichen Punkten hätten wir mehr Zeit gebraucht. Das habe ich im Namen der EVP auch mehrfach angemahnt. Zudem bringt die Kommission in einem Monat mit dem “Fit for 55”-Paket wesentliche und umfassende neue Gesetzesgrundlagen für den Green Deal heraus. Selbstverständlich hat dieses Paket auch Einfluss auf die Eurovignette, weshalb es für mich keinen Sinn macht, jetzt abzuschließen. Man kann nicht auf der einen Seite den Green Deal fordern und auf der anderen Seite eine Reform der Straßenmaut beschließen, die löchriger ist als Schweizer Käse. Das geht nicht zusammen.”

“Es ist sehr bedauerlich, dass dieses Gesetz nach so langen und intensiven Verhandlungen jetzt unausgegoren auf dem Tisch liegt. Ein besonders schwieriger Punkt bleibt die CO2-Differenzierung im Infrastrukturteil der Eurovignette – also eine günstigere Maut für Elektro- und Wasserstoff-LKW in den Aufschlägen, die für den Straßenerhalt eingehoben werden. Die Infrastrukturaufschläge sind dafür nicht der richtige Platz, denn damit werden die Erhaltungskosten der Straße finanziert. Die Abnutzung der Straßen hat nichts mit dem CO2-Ausstoß zu tun, Batterie- und Wasserstoff-LKWs verursachen hier die selben Kosten wie konventionelle LKWs. Das entspricht weder dem Grundsatz der Technologieneutralität noch dem Nutzer- und Verursacherprinzip, das wir mit der Reform umsetzen wollten”, kritisiert Thaler, deren EVP-Position von den Grünen im Europaparlament Zustimmung findet.

"Reform ist löchriger als Schweizer Käse"

“Wir sind nicht prinzipiell gegen Anreize, aber nicht so, dass sie den Markt derart verzerren. Denn so werden nicht nur willkürlich die zwei Technologien Batterie und Wasserstoff auf Kosten von Bio- und synthetischen Kraftstoffen bevorzugt. Durch die Umstellung der LKW-Flotten auf Elektro- und Wasserstoff-LKW sparten sich große Frächter hohe Mautkosten und könnten noch weit mehr LKW auf die Straße schicken. So schwächen wir damit weiter systematisch die Schiene als Alternative für den Gütertransport, obwohl genau das Gegenteil das Ziel sein muss”, erläutert Thaler. “Dass wir zumindest die Vignette für PKWs erhalten konnten und in allen Mitgliedsstaaten eine Ein-Tages-Vignette angeboten werden muss, ist zwar gut, aber de facto nur ein Trostpflaster, weil der Zeitplan dafür 8 Jahre vorsieht.”

Denn selbst bei der dringend nötigen Zielsetzung der Zweckwidmung der Umweltaufschläge für regionale Verkehrslösungen ist die Lösung unzureichend: “Es gibt jetzt zwar die theoretische Möglichkeit einer Zweckwidmung bestimmter Teile, aber das geht nicht weit genug. Hier wäre mehr gegangen, wären die Parlamentsfraktionen geschlossener hinter der Forderung gestanden”, sagt Thaler.

“Völlig indiskutabel und ein Systembruch in sich ist das Vetorecht angrenzender Mitgliedsstaaten bei der Festlegung der Maut. Die Maut kann nicht ein bilateraler Verhandlungsgegenstand zweier Staaten sein. Auch hier wird es von Seiten der EVP-Fraktion keine Zustimmung geben können. Als nächster Schritt wird das jetzt vorliegende Ergebnis im Verkehrsausschuss des Europaparlaments diskutiert. Wir werden uns jetzt fraktionsintern beraten und weitere Schritte besprechen”, sagt Thaler abschließend.

Update 17.06.2021: In der Hitze des Gefechts, nach den intensiven Verhandlungen und einer kurzen Nacht ist uns bei der Aussendung leider ein kleiner Fehler passiert. Mitgliedsstaaten haben für die Einführung der Tagesvignette 8 Jahre Zeit. Der Satz wurde aktualisiert.